Wir sprechen (kein) Russisch! – Zur Schließung russischer Schulen in der Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf die öffentliche Meinung in Kasachstan und Aserbaidschan

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von Matthias Wolf

Die Beherrschung von Fremdsprachen galt seit jeher als eine respektable Qualität unter Menschen. Dies ist zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher Weise belegt worden und verfolgte, je nach Epoche bzw. politischer Konstellation, verschiedene Ziele. In den meisten Fällen ging es um die Möglichkeit gegenseitiger Verständigung oder, weniger positiv besetzt, um das Erlangen von Informationen auf gegnerischer Seite in Zeiten des Unfriedens. Doch je mehr sich die Welt in ihren politischen, kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten stabilisierte, desto öfter kam dem Beherrschen einer oder mehrerer Fremdsprachen die Konnotation des Verbindenden zu. Menschen, die (neben ihrer Muttersprache) darin kundig waren, „in anderen Zungen zu reden“, waren nicht selten Garanten oder Entscheidungsträger in der Frage, ob Krieg oder Frieden zwischen den Völkern der Erde herrschen sollte. In Zeiten der Globalisierung ist dies nun kaum anders. Auf allen Kontinenten leben heutzutage Menschen, die mindestens zweier Sprachen mächtig sind und diese im Alltag, in der Familie, im Beruf oder im Zuge der Übersiedlung in ein anderes Land gebrauchen. 

Diese Kontexte haben allerdings in den meisten Fällen nur mittelbar mit den eigentlichen Ursachen für die jeweils  individuelle Mehrsprachigkeit einer Person zu tun. Dies bedeutet, dass die Gründe dafür, wie die sprachliche Mobilität eines Menschen beschaffen ist, meist in anderen Motiven als jenen gesucht werden müssen, aus denen heraus Zwei- oder Mehrsprachigkeit vorliegt. Oftmals spielen historische Gegebenheiten (Kolonialisierung) oder außenpolitische Verflechtungen eine Rolle. Im Falle der Verwendung des Russischen außerhalb Russlands trifft dies ebenfalls zu. In den ehemaligen Mitgliedsstaaten der UDSSR war Russisch nicht nur Amts- und Kommandosprache, sondern auch Bildungs- und Unterrichtssprache vieler Millionen Bürger, deren Herkunft explizit nicht „russisch“ und, bei ethnologischer Betrachtung, nicht einmal slawischen Ursprungs war. Viele Turkvölker der ehemaligen Sowjetunion erlernten Russisch über ihr Bildungssystem.


In den späteren Jahren der UDSSR entwickelte sich eine russischsprachige Community, die oftmals Teil der Elite des jeweiligen Landes war.  Doch auch außerhalb der eigentlichen Eliten bewehrte sich das Russische alsbald in der inter-ethnischen Kommunikation, da natürlich nicht alle Einzelsprachen der Sowjetunion (über 30) von allen Bürgern beherrscht werden konnten. Auch nach Auflösung der UDSSR blieb dies zunächst unverändert. Denn auch wenn die neu entstandenen bürgerlichen Nationalstaaten ihre jeweilige Sprache zum Standard erhoben hatten, blieben wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zum ehemaligen „großen Bruder“ (Russland) faktisch erhalten. Nur in wenigen Fällen erfolgte tatsächlich eine vollständige Loslösung, sodass Russisch als Wirtschafts- und Bildungssprache  weiterhin Verwendung fand. 

Mit zunehmender Stabilisierung der nunmehr souveränen Staaten allerdings wurde immer öfter der Ruf nach einer tatsächlichen Loslösung von Russland als einem vermeintlichen Hegemon laut. Diese Stimmungslage erreichte in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Qualitäten, da einerseits die historisch gewachsenen Beziehungen, andererseits die politischen Notwendigkeiten  von Land zu Land unterschiedlich waren. Doch selbst ein erstarkender, z.T. aggressiver Nationalismus konnte nicht verhindern, dass russischsprachige Bürger die jeweiligen Länder weiterhin als ihre Heimat betrachteten und somit auf ihrer Anerkennung durch die neue, ethnisch homogenere Gesellschaft bestanden.  Die folgende Analyse soll nun anhand der Beschulungsdebatte in der Ukraine, Aserbaidschan und Kasachstan beschreiben, wie bedeutsam die russische Sprache in diesen Ländern auch heutzutage noch ist. Gleichzeitig soll aber auch die Wichtigkeit der Wahrung einer eigenen Identität in Bezug auf diese Völker herausgestellt werden.
Am Ende der Betrachtungen wird eine Art Positionsmeldung darüber stehen, inwiefern auch in Zukunft ein optional zweisprachiges Bildungssystem nach (ehemals) sowjetischem Modell seine Berechtigung behält. 

Zunächst ist es notwendig, die Situation in der Ukraine zu schildern, da diese quasi den Anstoß zu einer solchen Debatte in Aserbaidschan und Kasachstan gegeben hatte. Die Ukraine selbst hatte, wenngleich die Nationalsprache als solche slawischen Ursprungs und damit verwandt mit dem Russischen ist, eine andere Form des nationalen Selbstverständnisses als Russland. Dieses war einerseits durch eine lange Zugehörigkeit zur Habsburger Monarchie, andererseits mit einer andersartigen Verortung der kirchlichen Anbindung verknüpft. Denn im Unterschied zu Russland, wo die russisch-othodoxe Kirche als Institution des Christentums den größten Einfluss besaß, stand in der Ukraine, bedingt durch den Einfluss Österreich-Ungarns, der Katholizismus an erster Stelle. Dies war gleichfalls im sprachlich und kulturell verwandten Polen und in Tschechien der Fall. Hierdurch erklärt sich auch das Schriftsystem des Polnischen und Tschechischen, bei dem ein lateinisches Alphabet mit Sonderzeichen verwendet wird. Dass die Ukraine dabei quasi die Brücke zwischen Latinität und Kyrillizität darstellt, zeigt sich auch am ukrainischen Alphabet, das zwar grundsätzlich als „kyrillisch“ gilt, dabei aber auch lateinische Zeichen beinhaltet.

Zusätzlich dazu verläuft in der Ukraine eine weitere Sprachgrenze, die den Unterschied zwischen Ost- und West-Ukrainisch markiert. Letzteres ist eher dem Polnischen ähnlich, während ersteres eine größere Nähe zum Russischen aufweist. Doch nicht nur die Sprachen, sondern auch der Einfluss der jeweiligen Kirchen ist unterschiedlich. Hieraus resultieren nun auch die kulturellen Trennlinien, wonach sich der östliche Teil eher als „zu Russland gehörig“, der westliche als „ost-europäisch“ empfindet.
Dieser Unterschied wurde allerdings weder zu Zeiten des Zarenreiches noch in der UDSSR  berücksichtigt
und so blieb Russisch in beiden Epochen die Hauptverkehrssprache.

Das Nationalgefühl der Ukrainer jedoch blieb in beiden Perioden bestehen und wurde vor allem in Krisenzeiten nicht selten zu einer Triebfeder von Protest und Aufruhr. Zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges versuchten sich z.B. Partisanen im Befreiungskampf gegen Russland. Dies führte dazu, dass getreu der Devise „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ auf Deutscher Seite gegen Stalin und damit gegen die UDSSR gekämpft wurde. Dass allerdings Hitler die Ukrainer nicht weniger als die Völker Russlands oder die Steppenvölker Zentralasiens verachtete, wurde dabei übersehen.  Erst 1943 mit der deutschen Besetzung von Charkov wurde vielen Ukrainern klar, dass auch eine Kooperation mit den Deutschen keine Alternative darstellte. Die Hoffnung auf eine unabhängige Ukraine zerschlug sich von einem Tag auf den anderen.

Ähnlich verhielt es sich nach Stalins Tod im März 1953. Sein Nachfolger Nikita Chruschtshow war zwar selbst Ukrainer und brachte zahlreiche Neuerungen und Liberalisierungen auf den Weg, aber einer anti-russischen Linie entsprachen diese keineswegs. Zwar wurde z.B. die Krim, die eigentlich geografisch und strategisch zu Russland gehörte, der Ukraine zugeschlagen, doch hatte dies kaum politische Auswirkungen, da sowohl Russland als auch die Ukraine Teil der UDSSR waren. Erst nach 1991, genauer gesagt gegen Ende der 1990er Jahre, entspann sich daraus ein Konflikt, der bis heute als ungelöst gilt. Jedoch muss festgestellt werden, dass, gerade seit der Präsidentschaft von Petro Poroschenko, wieder eine nationalistische und geradezu
anti-russische Politik zu beobachten ist.

Aktuell ist auch im Falle von Wolodymyr Selenskiy, dem amtierenden Präsidenten der Ukraine, ein eher  nationalistischer und pro-westlicher Kurs zu erwarten. Ein Element dieser Politik ist die Schließung russischer Schulen. Doch genau hier liegt das Problem bezüglich der ethnisch heterogenen Bevölkerung in der Ukraine. Man kann im Falle der Ost-Ukraine und der dort lebenden russischsprachigen Bürger nicht pauschal von einer „Minderheit“ sprechen. Der Gebrauch der Russischen Sprache ist seit Jahrhunderten im östlichen Teil des Landes verbreitet. Dazu kommt, dass auch in anderen Städten heute noch sehr viele Menschen leben, deren Bildung und  Sozialisation  auf Russisch stattfand. Ein „Umlernen“ bzw. eine zwanghafte Entwöhnung von der russischen Sprache und Kultur wären nicht nur feindselige Handlungen diesen Menschen gegenüber. Es bräuchte zudem Jahrzehnte, bis man landesweit die ukrainische Sprache durchgesetzt hätte. 
Desweiteren ist zu bemerken, dass nicht selten Ukrainer das Land verlassen, um in Russland zu arbeiten oder zu studieren. Dies zeigt durchaus, wie wichtig sowohl produktive Beziehungen zwischen beiden Ländern, als auch der gegenseitige Respekt zwischen beiden verwandten und doch verschiedenen Kulturalitäten sind.
Vor dem Hintergrund der hier beschriebenen Situation jedenfalls käme  eine Schließung russischsprachiger Schulen einer lupenreinen Diskriminierung gleich.     


Ähnlich verhält es sich auch de facto in Aserbaidschan, da dort, gerade im Norden des Landes und um die Hauptstadt Baku herum, viele Russischsprachige „zu Hause“ sind. Letzterer Ausdruck ist wörtlich zu nehmen, da diese Menschen, obwohl sie mit Russisch als Muttersprache aufgewachsen sind, niemals von sich behaupten würden, „Russen“ zu sein, sondern sich immer zu Aserbaidschan als ihrer Heimat bekennen.
Doch die Problematik, dass auch das Recht dieser Bürger, ihre Bildung in der Muttersprache zu erhalten, in Frage gestellt wird, liegt hier etwas anders. Ausgehend von der ukrainischen Politik Selenskiys nämlich haben sich in Aserbaidschan, das in der Außenpolitik freundschaftliche Beziehungen zur Ukraine pflegt, zivile Initiativen gebildet, die für ein ähnlich restriktives Vorgehen in Bezug auf russische Schulen eintreten.
Etwaige Gründe hierfür werden meistens in sozialen Netzwerken ausführlich erörtert. Die regionale Herkunft innerhalb des Landes und das Alter der Diskutanten sind dabei keine Parameter, anhand derer sich eine statistische Regelmäßigkeit ausmachen ließe. Jüngere wie ältere Menschen äußern sich positiv zu Selenskiys Ankündigung und fordern eine kategorische Rückkehr zur „Muttersprache“ in den Schulen Aserbaidschans.

Unklar  ist bislang jedoch, wie sich Präsident Ilham Aliyev und seine politischen Verantwortlichen zu diesem Thema verhalten wollen. Denn es fallen folgende Aspekte in dieser Diskussion regelmäßig auf:
Einerseits äußert sich die Regierung Aserbaidschans nicht explizit zu diesem Thema. Jedoch wird an Feiertagen oder bei memorialen Gelegenheiten, wie z.B. den Trauerfeierlichkeiten für die gefallenen Soldaten in Karabach, sehr oft die Heterogenität des Landes betont. Dies bedeutet, dass de facto Russisch- und Turksprachige gleichermaßen als „Aserbaidschaner“ gelten. Somit erfolgt, zumindest nach außen hin, keine sichtbare Diskriminierung.  Jene Argumentationen jedoch, die, wie bereits erwähnt, in sozialen Netzwerken von vielen Aserbaidschanern vertreten werden (fast alle diese Diskutanten sind oft auch des Russischen mächtig), lassen eine sehr pro-türkische Haltung erkennen.  Außerdem trifft man häufig die Äußerung an, dass „die sowjetischen Zeiten doch nun vorüber [seien]“ und eine Aufwertung des persönlichen oder beruflichen Ansehens durch Russisch als Alltagssprache doch endlich der Vergangenheit angehören könne. Viele kritisieren außerdem die Nähe und das kameradschaftliche Verhältnis der Präsidentenfamilie zum russischen Staatsoberhaupt Wladimir Putin. Dabei wird auch oft ein zu kompromissbereites (Ver-)Handeln des aserbaidschanischen Präsidenten moniert, der sich in den Augen mancher Bürger zu versöhnlich gegenüber Moskau gebe, anstatt rigoros auf nationalen Interessen zu bestehen.

Viele Vertreter dieser Position sehen im Kurs des amtierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Alternative, da dieser sich (aus ihrer Sicht) nicht von Europa  (sprich, der EU) oder Russland einschüchtern lasse. Manche Diskutanten rügen auch das vermeintlich fehlende Traditionsbewusstsein des aserbaidschanischen Präsidenten, der (ihrer Ansicht nach) viel zu selten auf die Religion (Islam) Bezug nehme und stattdessen immer wieder betone, wie tolerant das Land gegenüber Nicht-Muslimen sei.
Solche Positionen eines ethno-nationalistischen Selbstbildes sind zwar recht selten anzutreffen, doch zeigen sie eindeutig, dass es auch Gegner jener religiösen und ethnischen Toleranz gibt, die in Aserbaidschan historisch gewachsen und für das Land bis heute kennzeichnend ist.
Interessant ist jedoch in diesem Kontext, dass sich die Wut gegen den Präsidenten Aserbaidschans, wie auch der Ärger über eine Abkehr von Traditionen,  meistens an solchen und anderen innenpolitischen Fragen entlädt, die mit dem eigentlichen kulturellen Leben bzw. der Lebensweise des einzelnen Bürgers nur mittelbar etwas zu tun haben.

Mag es in diesem Falle auch gerechtfertigt erscheinen, dass manche(r) der Diskussionsteilnehmer(innen) auf der Pflege der Nationalsprache besteht, so wird dabei oft der wirtschaftliche und kulturelle Einfluss Russlands an vielen Stelle des täglichen Miteinanders übersehen. Dies gilt nicht nur für das Schulsystem, das in Teilen noch sowjetische Chrakteristika
(z.B. Noten von fünf bis eins) aufweist, sondern auch für Feiertage wie den 9.Mai (Tag der Befreiung vom Faschismus) oder den 8.März (Internationaler Frauentag). Diese Feiertage nämlich wurden auch nach Auflösung der UDSSR  beibehalten und dies nicht nur in Aserbaidschan, sondern auch in vielen anderen ehemaligen Mitgliedsländern wie der Ukraine, Usbekistan oder Kasachstan.
Dort indessen liegt wieder ein anderer Auslöser  für eine sprachpolitische Debatte vor.

In Kasachstan haben sich ebenfalls die politischen Verhältnisse geändert. Nach dem Ausscheiden des früheren Präsidenten Nursultan Nazarbayev wurde Qassym-Shomart Toqayev zu seinem Nachfolger.
Mit seinem Amtsantritt erhofften sich gerade junge Kasachen eine Abkehr von Russland und eine Rückkehr zu einheimischen Traditionen. Dabei blieb die Alphabetisierungsfrage nicht unerwähnt. Denn bis weit in die 2000er-Jahre war Kasachisch, ähnlich wie das Ukrainische, in einem modifizierten kyrillischen Alphabet notiert worden. Doch damit nicht genug. Gerade in den Großstädten hatte eine jahrelange russo-zentristische Sprachpolitik dafür gesorgt, dass junge wie ältere Bürger dieses Landes, obwohl sie ethnische Kasachen waren (in Kasachstan leben, wie in Aserbaidschan auch, verschiedene Volksgruppen), kein Kasachisch mehr im Alltag nutzen und stattdessen dem Russischen den Vorzug gaben.


Im Laufe der Zeit jedoch wurde klar, dass das Interesse vieler junger Menschen an der traditionellen kasachischen Kultur keinesfalls nachgelassen hatte. In der Folge war zu beobachten, dass  ethnisch kasachische Jugendliche ihre eigentlich angestammte Sprache als Fremdsprache in der Schule lernten und damit quasi die „Muttersprache“ zur Zweitsprache machten. Proteste, bei denen die Teilnehmer die Schließung russischsprachiger Schulen und eine Latinisierung des Alphabets nach türkischem, aserbaidschanischem oder usbekischem Muster forderten, begleiteten auch hier die Debatte.
Doch wie in Aserbaidschan und der Ukraine auch hat in Kasachstan ein zweisprachiges Bildungssystem eine lange Tradition und wird bis heute von großen Teilen der jungen Bevölkerung in Anspruch genommen.
Eine Schließung russischsprachiger Einrichtungen  wäre überdies bei weitem nicht nur aus bildungs-, sondern auch aus wirtschaftspolitischer Sicht bedenklich.
Denn wie Aserbaidschan oder die Ukraine ist auch Kasachstan wirtschaftlich und kulturell an Russland gebunden. Würde also von staatlicher Seite das Russische aus dem Alltag verbannt werden, so wäre dies auch auf politischer Ebene ein äußerst gewagter Schritt. Außerdem würde die Idee, eine Sprache aus ideologischen Gründen aus dem Bildungssystem zu tilgen, nicht zu der sonst weltgewandten Sicht vieler Kasachen passen. Europäische Sprachen nämlich, wie Deutsch, Englisch oder Französisch, werden an öffentlichen Schulen angeboten und, soweit sich die Lernenden ausführlicher mit ihnen befassen, oft überdurchschnittlich gut beherrscht.       

Zusammenfassend lässt sich folgendes Resümee zu den hier dargelegten Beobachtungen ziehen:
Die Debatten um den schulischen Einsatz der russischen Sprache in der Ukraine, Aserbaidschan und Kasachstan haben, formal gesehen, durchaus ein ähnliches Ansinnen, nämlich den russischen Einfluss zugunsten der jeweils autochtonen Kultur (sprich: der ukrainischen, aserbaidschanischen und kasachsischen Volkstradition) zu minimieren oder gar vollständig loszuwerden. Die Gründe dafür gehen in verschiedene Richtungen und entspringen mehrheitlich einer Sehnsucht nach autonomer Entwicklung. Dabei ist allerdings klar zu erkennen, dass, außer in der Ukraine, die Initiative zu solchen Veränderungen nicht aus Regierungskreisen kommt. Mag auch die Latinisierung des Alphabets in Kasachstan ein Schritt in Richtung einer turksprachigen Gemeinschaft mit ähnlichen Standards sein, so ist damit nicht zwingend eine Abkopplung von Russland verbunden.

Anders jedoch ist die Forderung nach der Schließung russischer Schulen zu werten.
Diese Maßnahme würde, so sie denn in Kraft träte, sicherlich die russisch-kasachischen Beziehungen in nicht geringem Maße abkühlen, sodass sich Kasachstan am Ende für eine Partnerschaft mit China entscheiden müsste. Letzteres ist aber eher unwahrscheinlich, da jene Kasachen, die in China leben und arbeiten in einer fragwürdigen Rechtslage sind und zudem nicht darauf hoffen können, dass Kasachisch als Minderheitensprache anerkannt wird. Für die Ukraine gilt ähnliches: Das Verhältnis zu Russland würde sich nicht nur weiter abkühlen, sondern sich eher in Richtung eines Kommunikationsabbruchs bewegen.
Russland würde die Diskriminierung seiner Bürger im Nachbarland nicht hinnehmen, zumal die Anzahl der russischen Muttersprachler in der Ukraine groß genug ist, um dieser Volksgruppe entsprechende Rechte auf eine Ausbildung in ihrer angestammten Sprache zuzugestehen.

Im Falle Aserbaidschans schließlich fällt es schwer, eine definitive Prognose zu stellen. Denn  bislang gibt es vonseiten der aserbaidschanischen Regierung keine politische Agenda zur sprachlichen Nivellierung in der Bevölkerung. Dennoch besteht die Möglichkeit einer identitären Wende. Diese ginge dann allerdings weniger von Regierungs- oder Wirtschaftskreisen aus, da ein „russischer Sektor“ in Aserbaidschan ebenso existiert wie in anderen post-sowjetischen Staaten. Vielmehr könnten es (wie in Kasachstan) die Vertreter einer pro- bzw. pan-türkischen Linie sein, die Druck auf die Regierung in Baku ausüben.
Dies  jedoch erscheint, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, bestenfalls hypothetisch, da Präsident Ilham Aliyev auch in der Außenpolitik auf ein konstruktives diplomatisches Miteinander mit Moskau und Ankara zu setzen pflegt. Insofern ist Aserbaidschan hier bezüglich der Akzeptanz der Russischen Sprache und seiner russischsprachigen Bürger im Land die positivste Entwicklung zu attestieren.  

Russisch indessen wird sicherlich noch lange Zeit auf den Straßen Kiews, Bakus und Nursultans  zu hören sein und sei es auch nur in Form jener musikalischen Klassiker, die die auch außerhalb Moskaus  seit Jahrzehnten  immer wieder gern gehört wurden. Jene Künstler, die diese Lieder dereinst komponierten und vor breitem Publikum vortrugen, verwandten ebenfalls das Russische ohne Mühe. Doch zwei Dinge haben diese Menschen dabei sicher niemals vergessen: Ihr Vaterland und ihre Muttersprache.