von Christian Fischer
Armenien hat am 20. Juni gewählt. Den düsteren Prognosen vieler Experten zum Trotz entschied sich amtierender Premierminister Nikol Paschinjan die Wahlen mit 53.92 Prozent klar für sich. Seine Allianz „Zivilverstrag“ erlangte damit die absolute Mehrheit im Parlament. Die katastrophale Niederlage im Bergkarabachkrieg gegen Aserbaidschan im Herbst 2020 hat seiner Popularität zwar massiven Schaden zugefügt, jedoch blieben die meisten seiner Anhänger ihm und seinem politischen Kurs treu. Drei Jahre nach der samtenen Revolution genießt er weiterhin den Rückhalt in der armenischen Bevölkerung. Insbesondere in ländlichen Gebieten, wo aktuell viele Infrastruktur- und Entwicklungsprogramme realisiert werden, erhielt er große Unterstützung. Doch bei diesen vorgezogenen Wahlen stand vielmehr das Thema Sicherheit der Landesgrenzen im Vordergrund. In den letzten Wochen und Monaten war die Situation an der armenischen-aserbaidschanischen Staatsgrenze äußerst angespannt. Paschinjan wurde von seinen Gegnern, die ihn als „Verräter“ bezeichnen, beschuldigt, zu nachgiebig gegenüber den Forderungen Aserbaidschans zu sein.
Bemerkenswert war, dass vier ehemalige Staatschefs Armeniens diesmal um die Macht wetteiferten. Paschinjan trat bereits im April 2021 als Premierminister zurück und rief die vorgezogenen Wahlen aus, um die monatelangen politischen Unruhen zu beenden, die durch den Sieg Aserbaidschans in heftigen Kämpfen um Berg-Karabach ausgelöst wurden. Sein eindeutiger Sieg kam für viele überraschend. Noch in März-Umfragen lag seine Allianz mit 32 Prozent Zustimmung deutlich hinter den Ansprüchen. Der Hauptkontrahent und Russland-orientierter Robert Kotscharjan (Präsident Armeniens zwischen 1998-2008) bekam mit seinem Block „Armenien“ 21 Prozent der abgegebenen Stimmen. Dabei sahen die jüngsten Umfragewerte ihn noch vor Paschinjan. Dass er jedoch mit einem derart schlechten Ergebnis abgeschnitten hat, deutet darauf hin, dass ein Großteil der Armenier den Namen Kotscharjan weiterhin mit Korruption und institutioneller Kleptokratie verbinden und sich eine Rückkehr dieses Systems nicht mehr wünschen. Dazu kommt noch die Rolle Kotscharjans bei der Ermordung von 10 Personen während der Massendemonstrationen gegen die Fälschung der Präsidentschaftswahlen von 2008, für die er verantwortlich gemacht wird. Kotscharjan hatte während seiner Wahlkampagne wiederholt versprochen, dass er einige der Gebiete, die Armenien während des Krieges verloren hat, zurückgewinnen würde, insbesondere die Städte Hadrut und Schuscha. Seine schwere Niederlage ist ein auch Denkzettel dafür, dass sich viele in Armenien nach Frieden und Ruhe sehnen und einen erneuten Krieg unbedingt vermeiden wollen.
Die zwei verbliebenen Kräfte waren die politischen Allianzen um die ehemaligen Staatschefs Sersch Sargsjan und Lewon Ter-Petrsojan, die allerdings die notwendige Barriere von 7 Prozent nicht überwinden konnten.
Fazit Nikol Paschinjan mag Moskau nicht so zugetan sein, wie Kotscharjan, aber in seinen drei Regierungsjahren hat er Russland gezeigt, dass er durchaus ein angenehmer und kompromissbereiter Partner sein kann. Der Ausgang der Wahlen hat so gut wie keine große Auswirkungen auf die Machtstellung Russlands in Armenien, unter anderem aus sicherheitspolitischer Perspektive. Ökonomisch gesehen könnte der westlich orientierte Paschinjan wohl einige außenpolitische Akzente setzen, die den Kreml womöglich ärgern würden. Doch Armenien ist und bleibt stark abhängig von russischen Sicherheitsgarantien. Moskau seinerseits hat zwar viele Hebel des Einflusses in Armenien, aber eben nicht genug, um vollständige Kontrolle zu erlangen. Paschinjan, der bei einigen Kundgebungen einen Hammer schwang, forderte die Wähler*innen auf, ihm ein “stählernes Mandat” zu erteilen, das ihm genug Macht verleiht, mit der er Teile des Establishments beseitigt, von denen er behauptet, sie seien immer noch loyal gegenüber der diskreditierten Elite, die von Kotscharjan und seinesgleichen verkörpert wird.
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