Interview mit Gela Wasadse, dem Direktor für Regionalprogramme am Georgian Strategic Analysis Center.
Welche politischen Entwicklungen haben zur Zuspitzung des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes in Bergkarabach beigetragen?
Die tatsächlichen Hintergründe der jüngsten Eskalation in Bergkarabach hängen unmittelbar mit der Verschiebung von geopolitischen Machtverhältnissen in der Weltpolitik der letzten 10 Jahre zusammen. Diese spiegelt sich unter anderem in der Schwächung der Machtpositionen Russlands auf internationaler Bühne nieder. Das wiederum führt auf das aggressive Verhalten Russlands den postsowjetischen Staaten, hier in erster Linie der Ukraine und gewissermaßen Georgien gegenüber, die Einmischung in die Wahlen in den USA und einigen europäischen Ländern sowie auf die innenpolitischen Probleme, die die außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten des Kreml erheblich einschränken. Im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt fühlte sich Moskau lange Zeit auf der sicheren Seite, mit fester Überzeugung, kein Außenspieler könne seine dominante Machtstellung gefährden. Diese erwies sich jedoch als Fehlkalkulation. Der wachsende Einfluss der Türkei wurde unterschätzt. Der türkische Faktor spielt zwar eine wesentliche Rolle, stellt jedoch die Regierung von Recep Tayyip Erdogan vor großen Herausforderungen. Die noch zu Beginn der 2000-er Jahre proklamierte “null Problem Strategie mit Nachbarn” ist kläglich gescheitert. Nur zu Georgien und Aserbaidschan pflegt Ankara noch gute Beziehungen. Auch innenpolitisch kämpft der türkische Staatschef mit Folgen der Wahlniederlagen in Istanbul und Ankara. Unter diesen Umständen ist es für Russland wichtig, sich an regionalen Logistikprojekten, die von der Türkei-Aserbaidschan-Achse forciert werden, zu beteiligen. Erdogan seinerseits braucht eine Erfolgsgeschichte in der Außenpolitik. Die geopolitischen Konstellationen schufen für Baku günstige Voraussetzungen, die Wiedererlangung der Kontrolle über seine interantional anerkannten Territorien auf militärischem Wege zu erreichen.
Welche Verantwortung trägt aus ihrer Sicht Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan? Warum entschied sich Aserbaidschan für die militärische Option?
Ehrlich gesagt sehe ich den armenischen Premierminister Nikol Paschinjan für die Zuspitzung der militärischen Lage nicht in der Verantwortung. In dieser höchst angespannten Situation hatte er einfach keine andere Alternative. Selbst wenn er zugestimmt hätte, eine der besetzten Provinzen in Karabach an Aserbaidschan zurückzugeben, hätte er gegen die kompromisslose Haltung der politischen Opposition und Öffentlichkeit Armeniens keinen Widerstand leisten können. Um sich als starken Anführer der Nation zu zeigen, sah sich Paschinjan gezwungen, eine harte Rhetorik in der Karabach-Frage anzuschlagen. Ich halte ihn für eine zutiefst tragische Figur in der jüngeren Geschichte Armeniens. Was Aserbaidschan betrifft, so musste das Land für die militärische Variante optieren, weil die Frustration über die Perspektivlosigkeit der Friedensverhandlungen, die sich über 28 Jahre hinwegzogen, zu groß war. Das ist eine objektive Realität. Diejenige, die diese Gegebenheiten leugnen, verbreiten entweder Unwahrheiten oder kennen sich mit genauen Hintergrunddetails dieses Konfliktes nicht aus.
Fast 28 Jahre lang rang die OSZE-Minsker Gruppe erfolglos um eine Friedenslösung in Bergkarabach. Warum liefen die Bemühungen ins Leere?
Die OSZE-Misnker-Gruppe (Russland, USA und Frankreich) als einzige und von beiden Konfliktparteien anerkannte internationale Institution entpuppte sich als handlungsunfähig, um eine Lösung herbeizuführen. Russland war in diesem Zusammenhang das einzige Land, das Interesse und nicht unwesentliche Einflussmechanismen hatte. Diese wurden jedoch nicht genutzt. Die Mitwirkung von Washington und Paris war eher zeremoniell, und gelegentliche Initiativen waren zum Scheitern verurteilt, weil deren Umsetzungsprozess nicht konsuquent genugt nachverfolgt wurden. Also wurde das Handlungsfeld dem Kreml überlassen, für den wiederum der Vorkriegsstatus mit seiner Schiedsrichterfunktion am zufriedenstellendsten war. Dennoch zeugt die aktive Einmischung Russlands ins aktuelle Kriegsgeschehen weiterhin von seiner führenden Machtstellung.
Inwiefern wird die militärische Niederlage Armeniens die Machtstellung Russlands in diesem Land beeinflussen?
Kurzfristig erwarte ich eine Stärkung der russischen Dominanz in Armenien. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Perzeption Russlands in der armenischen Öffentlichkeit spätestens nach den April-Kämpfen 2016 negativ ausgelegt wird. Tendenz steigend. Unabhängig davon, wer in Armenien die Geschicke des Landes bestimmt, der muss irgendwann erkennen, dass eine Alternative zu Moskau notwendig ist. Ich gehe davon aus, dass die schweren Folgen der militärischen Zusammenstöße mit Aserbaidschan die Suche nach neuen außenpolitischen Verbündeten für Armenien beschleunigen werden.
Laut der am 10.11. erzielten Vereinbarung wurden russische “Friedenstruppen” in einigen Teilen Bergkarabachs stationiert. Was halten Sie von dieser Mission? Was verspricht das für die gesamte Region?
Wenn es sich um Friedesmission Moskaus im Kaukasus oder woanders handelt, sollte man sich bedenken, dass das Konzept der Friedenssicherung an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Einerseits scheint es so, als sei Russland als klarer Sieger aus der letzten Militärkampagne hervorgegangen, indem man die Umsetzung des sogenannten Lawrow-Plans durchsetzen konnte. Andererseits hat der Kreml diesen Triumph teuer erkauft. Der sieggreiche Ausgang des Krieges für Aserbaidschan hat die ohnehin knappen politischen Druckmöglichkeiten Russlands auf dieses Land erheblich reduziert. Flankiert von vielversprechenden Energie- und Transportprojekten wird Baku außenpolitisch künftig noch selbstbewusster und autarker auftreten, als dies bisher der Fall war.
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