Erlebniswelt – Armenische Kirchen

The New York Times

Zu den prägenden architektonischen und historischen Besonderheiten, die die Besucher in Armenien immer wieder bestaunen, sind die zahlreichen religiösen Stätten. Armenier sind mehrheitlich orthodoxe Christen. Die Armenisch-Apostolisch Orthodoxe Kirche ist fester Bestandteil der armenischen Identität. Sie gehört zur Familie der fünf altorientalischen orthodoxen Kirchen. Ihre auffälligsten Ikonen sind die Klöster auf Berggipfeln und Felsen. Als eine wichtige Kreuzung der antiken Zivilisation hat das Land auch griechische und römische Tempel, von denen einige im einwandfreien Zustand erhalten sind.

Die Armenier dürfen von sich behaupten, die älteste christliche Nation zu sein. Während der christliche Glaube zu Beginn des frühen Mittelalters in weiten Teilen West- und Mitteleuropas (die ehemaligen Provinzen des Römischen Reiches) noch nicht an Bedeutung gewann, ernannte der armenische König Trdat III. im Jahr 301 das Christentum zur Staatsreligion. Er, seine Familie, Armee und das Volk sollen sich im Euphrat von Gregor Bartev (229-325) taufen lassen. Gregor wird Erleuchter genannt, weil er durch die Taufe „die Nation mit dem Licht des Evangeliums erleuchtete“. Den Überlieferungen armenischer Christen zufolge soll Judas Thaddäus, einer der zwölf Apostel, das Christentum bereits im 1. Jahrhundert in die armenisch besiedelten Gebiete im Nord-Osten des heutigen Irans gebracht haben. Demnach kam er gemeinsam mit St. Bartholomäus nach Armenien und predigte dort das Evangelium. Daher bezeichnet sich die Kirche selbst als apostolisch.

Das historische Zentrum und Hauptsitz der armenisch-apostolischen Kirche ist die in der Provinz Armawir (unweit der Hauptstadt Jerewan) gelegene und als UNESCO-Weltkulturerbe gelistete Kathedrale von Etschmiadsin. Die Funktionalität der armenischen Kirchen basiert in erster Linie auf den Kanons (Kirchenrecht) und den etablierten religiösen Traditionen, die über Jahrhunderte hinweg angewachsen sind. Eines der wichtigsten Verwaltungsprinzipien der armenischen Kirche ist ihr konziliares System. Die administrativen, wie auch die lehrmäßigen, liturgischen und kanonischen Normen werden von einem Konzil im kollektiven und partizipativen Entscheidungsprozess festgelegt und genehmigt. Das Konzil der Bischöfe (oder Synode) hat die höchste religiöse Autorität über die gesamte Kirche. Zu betonen ist, dass die armenische Kirche die ersten drei ökumenischen Konzilien (Nikaia, Konstantinopel und Ephesos) als fundamental für den christlichen Glauben anerkennt. Diese würden die wesentlichen Dogmen des Christentums enthalten.

Die armenisch-apostolische Kirche hat insgesamt vier Sitze: Zwei Katholikate (in Etschmiadsin und in Antelias, Libanon) und zwei Patriarchate (in Istanbul und Jerusalem). Der Katholikos von Etschmiadsin wird allgemein als Oberhaupt aller armenischen Kirchen anerkannt und trägt den Titel “Oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier.” Das Katholikat von Kilikien bzw. “Katholikat des Hohen Hauses von Kilikien” untersteht in allen geistlichen Angelegenheiten dem Obersten Katholikos aller Armenier, behält aber administrative Autonomie. Die Beziehungen zwischen den Katholikaten werden gelegentlich durch politische Spannungen belastet. Während der Oberste Katholikos in Etschmiadsin residiert, neigen armenische Nationalisten (Daschnaken) dazu, den Heiligen Stuhl von Kilikien zu unterstützen. Diese Spaltung spiegelt sich auch bei den Vertretern der armenischen Diaspora in den USA wider.

Die Patriarchate von Konstantinopel und Jerusalem sind relativ jungen Ursprungs und erkennen die Oberhoheit von Etschmiadsin an. Das Patriarchat von Jerusalem wurde Anfang des 14. Jahrhunderts gegründet, als das St. Jakobus-Kloster in Jerusalem seinen Bischof Sargis zum unabhängigen Patriarchen proklamierte. Lange Zeit war das Jerusalemer Patriarchat mit dem Katholikat von Kilikien eng verbunden. Seit den 1930-er Jahren fungiert es als inoffizielles Zentrum der armenischen Kirche. Das Patriarchat von Konstantinopel wurde 1461 durch den osmanischen Sultan Mehmed II. etabliert, der einen lokalen Bischof zum religiösen Anführer der gesamten armenischen Gemeinde im Osmanischen Reich berief. Bis ins 16. Jahrhundert stand das Konstantinopeler Patriarchat kirchlich unter dem Katholikat von Kilikien in Sis. Im 18. und 19. Jahrhundert gewann die im Osmanischen Reich ansässige Teilkirche auch nicht zuletzt wegen der steigender Zahl der Armenier zunehmend an Gewicht und Einfluss. Während die Region Syrien/Palästina zwischen 1516-1917 zum Osmanischen Reich gehörte, herrschten in Etschmiadsin im genannten Zeitraum die Safawiden (ein anfangs türkisch-, später persischstämmiges Reich), russische Zaren und die Sowjets. Während des Ersten Weltkrieges wurden alle armenischen Katholikate und Patriarchate im Osmanischen Reich vorübergehend aufgelöst und einem neu errichteten Katholikat in Jerusalem unterstellt.

Die Armenisch-Apostolische Kirche hat über Jahrhunderte hinweg großen Lebensraum für das armenische Volk geschaffen. Heutzutage leben bis zu 10 Millionen Armenier weltweit, davon allerdings nur 3 Millionen in der Republik Armenien. Die Kirche gilt als eines der größten identitätsstiftenden Merkmale der armenischen Nation. Insgesamt existieren 34 armenische Diözesen mit ständigen Bischöfen. Karekin II. Nersissian gilt als Oberster Patriarch der Mutterkirche mit Sitz in Etschmiadsin. An der Spitze des Patriarchats in Istanbul/Konstantinopel steht Sahag II. Maschalian. Aram I ist derzeitiger Katholikos des Großen Hauses von Kilikien. Erzbischof Torgom Manukjan fungiert seinerseits als amtierender Patriarch von Jerusalem.

Kurzer Streifzug durch einige bedeutende Gotteshäuser der Armenisch-Apostolischen Kirche.

1) Etschmiadsin-Kathedrale:

Älteste heilige Kirche des armenisch-orthodoxen Christentums: stimmungsvolle Etschmiadsin-Kathedrale nahe der Hauptstadt Jerewan. Es lohnt sich sicherlich, an einem Gottesdienst teilzunehmen und eine Kerze anzuzünden.

2) Geghard-Kloster

Dieses mittelalterliche Kloster wurde teilweise aus einem Abschnitt der Azat-Flussschlucht herausgeschnitten, um einen Komplex von Höhlenkapellen und Klosterkammern zu schaffen. Die UNESCO-Stätte entstand an der Stelle einer heiligen Quelle und weist zahlreiche gravierte, frei stehende Chatschkars auf.

3) Tatev-Kloster

Bei der Errichtung des Tatew-Klosters im 9. Jahrhundert gab es zwar noch keine Seilbahn. Diese schwingen sich erst seit 2010. Gut 12 Minuten dauert die Fahrt 320 Meter über dem Boden zum geheimnisumwobenen Kolster Tatew in der Provinz Sjunik im Süden Armeniens.

4) Khor Virap-Kloster

Khor-Virap ist einer der bemerkenswertesten Pilgerorte Armeniens, da hier laut Erzählung Gregor der Erleuchter, Schutzpatron aller Armenier, das Christentum zur Staatsreligion Armeniens machte. Der Blick in die türkische Grenze und auf die Ebene zum Berg Ararat (türkisch Ağrıdağ) ist atemberaubend.

Autor: Admiral