von Mubariz Aslanov, Journalist (Aserbaidschan)
Die ungelösten Sezessionskonflikte im postsowjetischen Raum gingen im Zuge der Auflösung des Sowjetimperiums in die heiße Phase und flammten zu Beginn der 1990-er Jahre auf. Kriege mit unzähligen Opfern, Vertreibungen und Zerstörungen waren die Folge.
Erkundigt man sich genauestens, stellt man fest, dass die ganze Gemengelage ihren Ursprung im 18.-19. Jahrhundert hat. Zu jener Zeit stand die Welt vor neuen historischen Prozessen. In diesem Fall konnte sich selbst die sensibelste und strategischste Region der Welt an die neuen geopolitischen Rahmenbedingungen anpassen. Man muss bedenken, dass das ethnische Mosaik von Osteuropa und der Kaukasus-Region sehr vielfältig war: Esten, Letten, Litauer, Ukrainer, Weißrussen, Moldauer, Georgier, Aserbaidschaner, Armenier etc. Die historischen Gebiete dieser Völker wurden oft zu Schlachtfeldern hegemonialer Staaten.
Es ist anzumerken, dass die oben genannten Völker im Mittelalter ihre eigenen unabhängigen Staatsformationen hatten. Der Safawidische Staat von Aserbaidschan, das Timuridische Reich, das Königreich Kartli-Kachetien, der unabhängige Ataman-Kosakenstaat, der von Getman Bogdan Khmelnitsky in der Ukraine vereinigt wurde, das Fürstentum Moldawien, das polnische Fürstentum Weißrussland, das Großherzogtum Litauen, der Livländische Bund in Lettland und andere. Trotz Unabhängigkeit wurden diese mit der Zeit durch interne Konflikte geschwächt und waren nicht im Stande, mit bestehenden gesellschaftspolitischen Umwälzungen Schritt zu halten. Diese Staaten verließen ein für alle Mal die weltpolitische Bühne und wurden zum Schlachtfeld der Großmächte im 19. Jahrhundert. Das zaristische Russlands, das Osmanische Reich und der Iran rangen um Einflussnahme. Nach erfolgreichen Eroberungszügen setzte sich das Russische Reich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegen seine regionalen Hauptrivalen durch und etablierte sich als führende Kolonialmacht.
Auf dem Weg zu künstlichen Konflikten
Nach den russisch-iranischen Kriegen (1804-1813 und 1826-1828) wurden die Siedlungsgebiete der Aserbaidschaner zwischen beiden Ländern geteilt. Als eine der unmittelbaren Folgen wurden die im Osten des Osmanischen Reiches und im Norden Irans lebenden Armenier in historischen aserbaidschanischen Gebieten Irevan, Nachiteschewan und Karabach angesiedelt. Damit wurde der Grundstein für den künftigen Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern gelegt. Armenier behaupten heutzutage, sie hätten seit vielen Jahrhunderten in diesen Territorien leben. Aber was sagen die Fakten?
Das Denkmal “Maragha-150”, das die Armenier anlässlich ihrer Ankunft in Karabach im Jahr 1978 errichtet hatten, war dafür der nackte Zeuge. Diese Statue befand sich in der Schicharch-Siedlung der Provinz Tartar und markierte die Umsiedlung der ersten 200 armenischen Familien aus der iranischen Stadt Maragha nach der Friede von Turkmentschai 1828. Mit Beginn der Unruhen in Bergkarabach wurde das Denkmal entfernt. Die Angst vor der Wahrheit war offensichtlich.
Hervorzuheben, dass die Völker in der Anfangsphase der zaristischen Herrschaft friedlich zusammenlebten. Hierbei spielte die russische Kultur und Bildung eine wichtige Rolle. Insbesondere im Kaukasus und in Zentralasien war der Einfluss der russischen Kultur offensichtlich stark. Die Sowjetunion hatte zwar die „Völkerfreundschaft“ und „Internationalismus“ auf die Fahnen geschrieben. Sie versuchte jedoch vergeblich die Hinterlassenschaften des Zarismus zu vertuschen und die Aufmerksamkeit von den Hauptthemen abzulenken. Mit dem Zusammenbruch des riesigen Imperiums 1991 brachen dann die alten ethno-territorialen Konflikte in Bergkarabach, Abchasien, Südossetien und Transnistrien aus, die die Sowjets bis dahin noch im Griff hatten.
Die heutige Krise mit der Corona-Pandemie zeigt, dass führende internationale Organisationen auf die großen weltpolitischen Herausforderungen nicht angemessen reagieren können. Es genügt, die unfaire Verteilung von Impfstoffen zu betonen. Die vier Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) über die Besetzung aserbaidschanischer Territorien durch Armenien, die noch 1993 verabschiedet wurden, blieben 27 Jahre lang auf dem Papier. Erklärungen und Resolutionen dieser Art stellen für die unterdrückten Völker nichts anderes als eine reine Formalität dar, die lediglich eine tröstende Rolle spielen. Die OSZE-Minsker-Gruppe als einzige Vermittlungsinstanz im Bergkarabach-Konflikt konnte und wollte sich seit 1992 im Lösungsprozess nicht wirklich exponieren und leidet dementsprechend unter einem negativen Imageschaden. Die ganze Weltgemeinschaft verschwieg bzw. guckte in all den Jahren bewusst weg. Das Schicksal von 800.000 aserbaidschanischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen interessierte niemanden. Nach unzähligen Provokationen, die in letzter Zeit immer wieder von Armenien ausging, sah sich Aserbaidschan gezwungen, im Alleingang seine besetzten Gebiete zu befreien.
Der Schlüssel zum Karabach Konflikt: Nationale Einheit und starker Wille
Nach dem ersten Bergkarabachkrieg, setzte Armenien als Besatzungsland alles daran, den gültigen Status aufrechtzuerhalten und die Lösung mit Imitationsgesprächen hinauszuzögern. Diese Strategie erwies sich am 27. September 2020 als fataler Trugschluss. Innerhalb von 44 Tagen eroberte Aserbaidschan alle von Armenien als Pufferzone deklarierten Territorien sowie einige strategisch wichtige Provinzen in Bergkarabach zurück. Der Mythos über die „Unbesiegbarkeit der glorreichen armenischen Armee“ war damit verpufft. Das trilaterale Waffenstillstandsabkommen am 10. November 2020 markierte die Niederlage Armeniens endgültig. Von da an übernahmen russische Militärs die friedenserhaltende Mission in der Region. Es bleibt zu hoffen, die vereinbarte Waffenruhe würde als erste notwendige Grundlage für einen nachhaltigen Frieden zwischen den verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan in der Zukunft sorgen. Vor allem Armenien sollte ernsthafte Konsequenzen daraus ziehen und sich um gutnachbarschaftliche Beziehungen mit Aserbaidschan und der Türkei bemühen. Dies würde nicht nur für Armenien, sondern auch für die gesamte Südkaukasus-Region neue vielversprechende Entwicklungsperspektiven eröffnen. Dieser Krieg sollte auch als Weckruf für internationale Institutionen, u.a. für die OSZE dienen, sich stärker und entschlossener denn je für die Versöhnung zwischen Armeniern und Aserbaidschaner einzusetzen.
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