Eine Hungersnot trieb deutsche Siedler aus Schwaben im Jahre 1817 in den Südkaukasus. Dort schufen sie Kolonien und bauten Wein an. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs änderte sich alles.
Die Einwanderung der deutschen Kolonisten in den Südkaukasus begann ab 1817 auf Initiatve des russischen Zarenreichs. Ein Großteil der Kolonisten waren württembergische Schwaben. Über 1000 Familien verkauften ihr Hab und Gut und machten sich 1817 auf den weiten Weg gen Osten. Im Kaukasus wollten sich die Schwabendeutschen eine neue Existenz aufbauen. Die ersten Siedler waren separatistische Pietisten, eine Glaubensgemeinschaft innerhalb der evangelischen Kirche, die wegen ihrer Forderung nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit des 19. Jahrhunderts nur schwer geduldet wurden. Die religiösen Gründe haben die Menschen dazu veranlasst, eine neue Heimat in Hochgebirgen zwischen dem Schwarzen Meer im Westen und dem Kaspischen Meer im Osten zu finden. Im Jahre 1836 erwarteten die Pietisten, dass, Jesus Christus zurückkehren würde. Sie wollten sich geographisch möglichst nahe der heiligen Stadt Jerusalem im Nahen Osten aufhalten. Eine Ansiedlung dort war zu dieser Zeit allerdings nicht möglich. Da Palästina im 19. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches war, wählten die Kolonisten die Berge des Kaukasus, um den wiedererscheinenden Christus „in neuem Jerusalem“ zu erwarten.
Kolonisten in Georgien
Zwei Kilometer nördlich der Hauptstadt von Georgien Tiflis, am Ufer des Flusses Mtkwari entstand die Siedlung Neu-Tiflis. Dort wurden 60 Familien von Handwerkern angesiedelt. Diese Familien hatten aufgrund der großen Konkurrenz durch georgische Handwerker mit erheblichen wirtschaftlichen Heruasforderungen zu kämpfen. Für die deutschen Schmiede, Weber und Tuchmacher gab es keine Arbeit.
Weitere 26 Familien siedelten sich 5 Kilometer weiter nördlich in Didube an. Diese Ortschaft bekam den Namen Alexanderdorf. Die Siedler waren nach der Reise völlig verarmt. Aus der Not heraus entstand ein Logistikgewerbe mit Fuhr- und Transportunternehmen. Heute ist dies der Stadtteil Didube von Tiflis. Jede Familie hatte ihr eigenes Haus, ausgestattet mit einem gewölbeartigen Keller und Gartenland. Im Jahre 1829 wurde hier eine evangelisch-lutherische Kirche erbaut. Im selben Jahr eröffnete Hör Schonberg die erste Apotheke in der Stadt. Diese blieb über Jahrzehnte die einzige Einrichtung dieser Art in Tiflis. Im Jahre 1850 wurde neben der evangelischen Kirche in der Tifliser Kolonie eine Schule eröffnet. Die deutschsprachigen Unterrichte waren für alle Kinder offen. Viele Vertreter der Kolonien wurden in den Folgejahren über die Grenzen Georgiens hinaus bekannt. Zu ihnen zählte der Weinbauer Friedrich Wetzel, der auch das nach ihm benannte Hotel in Tiflis führte. Gustav Radde (1831-1903) war ein Naturwissenschaftler, Ethnograf und Mitbegründer des kaukasischen ethnografischen Museums. Weitere berühtem Persönlichkeiten waren die Architekten Albert Salzmann (1833–1897), Leopold Bielfeld (1838 – 1922) oder Otto Jacob Simonson (*1829), aber auch Maler, Ärzte und Schriftsteller wie Bertha von Suttner, Friedrich von Bodenstedt (1819-1892), der über mehrere Jahre im städtischen Gymnasium Französisch unterrichtete oder Publizist Artur Leist (1852-1927). Als Unternehmer Karl von Kutschenbach im Jahre 1906 die deutschsprachige Zeitung „Kaukasische Post“ in Tiflis gründete, wurde Artur Leist deren Hauptredakteur, ab 1908 Inhaber und Redakteur.
Kolonisten in Aserbaidschan
Unübersehbar sind die Spuren der deutschen Vergangenheit auch in Aserbaidschan, allein wenn man auf den Straßen Bakus unterwegs ist. Das Bahnhofgebäude in der Hauptstadt von Aserbaidschan Baku wurde bspw. vom deutschen Architekten Adolf Eichler entworfen. Das heutige Gebäude des Aserbaidschanischen Kunstmuseums entstand unter der Anleitung und Aufsicht von Nikolaus von der Nonne, einem weiteren deutschen Architekten.
Im Frühjahr 1819 machte sich der letzte Zug der deutschen Kolonisten über Georgien auf den Weg nach Aserbaidschan und wurden im Governement Jelizawetpol (heute Gändschä) heimisch. Es wurden zwei Siedlungen gegründet. Die erste und gleichzeitig größte Kolonie hieß „Helenendorf“. Sie war benannt zu Ehren der Großfürstin Jelena Pawlowna, Herzogin von Mecklenburg-Schwerin. Der Grüngungsort befand sich auf den Ruinen der aserbaidschanischen Altsiedlung Chanliklar, 7 Meilen von Gändschä entfernt (die heutige Stadt Göygöl). Eine zweite Siedlung etablierte sich wenige Jahre später unweit der Stadt Schämkir (etwa 30 Kilometer nordwestlich von Gändschä). Sie erhielt die Bezeichnung „Annenfeld“ , benannt zu Ehren der Großherzogin Anna Pawlowna, Königin von Niederlande. Laut statistischen Angaben des Zarenreichs ließen sich in Helenendorf bei der Gründung 127 deutsche Familien (ca. 600 Personen) und in Annenfeld 67 Familien (ca. 300-400 Personen) nieder. Mit wirtschaftlichem Aufschwung und dem Bevölkerungswachstum erhöhte sich diese Zahl der deutschen Kolonien in Aserbaidschan. Zu Beginn des 20. Jh. gab es neben Helenendorf und Annenfeld 6 weitere Siedlungen: Georgfeld, Aleksejewka, Grünfeld (Agstafa), Eichenfeld, Traubenfeld (heute Tovuz) und Jelizawetinka. Die Deutschen konnten erfolgreich wirtschaften, in kürzester Zeit zu Reichtum gelangen und ein hohes gesellschaftliches Ansehen gewinnen. Der Weinbau war dabei Haupttätigkeitsschwerpunkt. Die Produkte der deutschen Weinbauer aus Aserbaidschan erfreuten sich Ende des 19. Jahrhunderts großer Popularität im gesamten Russischen Reich. Darüber hinaus bauten sie auf fruchtbaren Böden Getreide, Gemüse, Obst, Oliven, Tabak an und entwickelten Seidenzucht. Dies war ein Ergebnis des Zusammenspiels der mitgebrachten Gewohnheiten aus ihrer deutschen Heimat, der Einbeziehung lokaler Besonderheiten einer bereits entwickelten Weinbaukultur und dem Erfahrungsaustausch mit der aserbaidschanischen Bevölkerung.
Mit dem Ausbruch des Ersen Weltkrieges schwand das Vertrauen der zaristischen Führung in die deutschen Kolonisten. Im Jahr 1915 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Deutschen den Besitz eines Grundstücks untersagte und ihre Bürgerrechte einschränkte. Doch mit dem Zerfall des Zarenreichs 1917 und der Gründung der unabhängigen Aserbaidschanischen Demokratischen Republik (ADR) im Mai 1918 bekamen die Deutschen ihre Minderheitenrechte wieder zurück. So war im Parlament der ADR nun auch die deutsche Minderheit vertreten – durch den Abgeordneten Lorenz Jakowlewitsch Kuhn.
Ein eindrucksvolles Ereignis im gesellschaftlichen Leben der deutschen Siedlungen in jener Zeit war die große Feier anlässlich des Jubiläums der Kolonie Helenendorf am 9. Juni 1919. Zum 100. Jubiläum der Umsiedlung der Deutschen in Aserbaidschan richtete Parlamentsvorsitzender der ADR Agayew am 8. Mai 1919 ein Gratulationsschreiben an Kolonisten: „Das Präsidium des Aserbaidschanischen Parlaments gratuliert den Einwohnern von Helenendorf zum 100. Gründungstag und wünscht dieser kleinen Zelle weiteres Blühen und den Wohlstand“.
Mit der Machtübernahme der Kommunisten im April 1920 wurde dem blühenden Gemeindeleben in Georgien und Aserbaidschan ein Ende gesetzt. Die Kolonien verloren ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit sowie ihre religiöse Souveränität. Bereits 1931 wurden Gottesdienste und Versammlungen der Lutherischen Kirchen verboten. Als Nazideutschland im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, galten alle Deutschen, die in Unionsrepubliken lebten, als Kollaboratoren und Verräter. Der sowjetische Diktator Josef Stalin ließ die Südkaukasusdeutschen schließlich nach Kasachstan und Sibirien deportieren.
Autor: Admiral
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