Auslöschung der aserbaidschanischen Identität von Karabach. Doppelmoral der UNESCO

„Die UNESCO warte immer noch auf die Zusage des offiziellen Baku, ein unabhängiges Untersuchungsteam in das Konfliktgebiet Bergkarabach zu entsenden, um ein Inventar der schutzbedürftigen Stätten anzulegen und ihren Erhalt sicherzustellen“ – beschwerte sich Ernesto Ottone, stellvertretender UNESCO-Generaldirektor für Kultur, in der am 20. November 2020 erschienenen Pressemitteilung. Seine Chefin Audrey Azoulay traf sich bereits zwei Tage zuvor mit Repräsentanten*innen aus Armenien und Aserbaidschan und sicherte beiden Seiten technische Unterstützung beim Registrierungsprozess der betroffenen Kulturdenkmälern zu.[1] Doch Ernestos einseitige Statement wurde in Aserbaidschan als Diffamierung empfunden. Man beschuldigte die UNESCO, doppelte Standards zu betreiben und die Frage des Schutzes von Kulturobjekten zu politisieren.[2]

Das unter Russlands Vermittlung am 10. November 2020 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen markierte das Ende des 44-tägigen Krieges in Bergkarabach. Nach beinahe 30 Jahren gelang es Aserbaidschan, Kontrolle über seine von Armenien völkerrechtswidrig besetzten Territorien zu erlangen. Die Freude über den langersehnten Sieg in der aserbaidschanischen Gesellschaft schlug jedoch bald in Wut und Bestürzung um. In den befreiten Provinzen und Dörfern, die noch bis vor 30 Jahren aserbaidschanisch besiedelt waren, boten sich auf einmal erschreckende Bilder: Ganze Landschaften wurden in Schutt und Asche gelegt, oder systematisch geplündert, Friedhöfe zerstört, jahrhundertealte religiöse Stätten (Moscheen) entweder geschändet oder gezielt in Schweine- bzw. Kuhställe umgewandelt. Das Kulturministerium Aserbaidschans verweist aus 927 Bibliotheken mit einem Bestand von 4,6 Millionen Büchern, 808 Clubs und Kulturzentren, 85 Musik- und Kunstschulen, 22 Museen, vier Kunstgallerien, vier Theater, zwei Konzerthallen und über 2000 historische Denkmäler, die mutwillig vernichtet wurden.[3] Von den insgesamt 67 funktionierenden Moscheen in Berg- und Talkarabach wurden 63 komplett ausradiert. Nicht verschont wurde auch das unschätzbare Erbe von Kaukasus Albanien, dem christlich geprägten Vorgängerstaat des heutigen Aserbaidschans: Monumentale Kirchen (etwa das Kloster Dadiwank in der Provinz Kalbadschar), unzählige Grabsteine und Kulturgüter wurden einer ausgedehnten Armenisierung unterzogen.[4] Das schier ungeheuerliche Ausmaß von Zerstörungen und die Vandalismusakte der Armenier zeugen eindeutig vom kulturellen Genozid und vom Versuch, jegliche Spuren der aserbaidschanischen Identität in der Karabach-Region zu verwischen. 

War sich die UNESCO als eine der führenden Unterorganisationen der Vereinten Nationen für den Erhalt von Weltkulturerbestätten über diese Tatsachen im Klaren? War man um die historischen Moscheen und sonstigen muslimischen Kultureinrichtungen in Bergkarabach jemals in Sorge? Anscheinend nicht! Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev reagierte entsprechend empört auf die Beanstandung aus Paris: „30 Jahre lang appellierten wir vergeblich an UNESCO, eine Monitoring-Mission in unsere besetzten Gebiete zu entsenden und die Fälle von Kriegsverbrechen wie Raub, Plünderung, Verschleppung, Vernichtung von unseren historischen Kulturwerken sowie Entweihung der Moscheen zu untersuchen.“ Er verwies auf die ausgeprägte Doppelmoral der UNESCO, die sich mit dem Ende kriegerischer Handlungen im November 2020 verstärkt Sorgen um das Schicksal der christlichen Stätten mache, die sich nunmehr unter aserbaidschanischer Kontrolle befinden.[5] Eine weltweit tätige Organisation, die fast drei Jahrzehnte laute Aufrufe der aserbaidschanischen Seite in den Wind schlug und dadurch massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, zeigt nun offen ihren Unmut darüber, dass Baku den Entsendungsprozess eines unabhängigen Ermittlungsteams nach Bergkarabach verzögere. 

Als Teile der menschlichen Identität bezeugen Kulturgüter, ungeachtet welcher Ethnie diese angehören, die Entwicklung der Menschheit im Laufe der Zeit. Deren Schutz sollte eine universale Aufgabe darstellen und den Interessen der Allgemeinheit dienen. UNESCO hat sich auf Grundlage mehrerer internationaler Übereinkünfte, darunter die Haager Konvention von 1954, die UNESCO-Konvention gegen den illegalen Handel mit Kulturgut von 1970 und die Welterbekonvention von 1972, der Pflicht verschrieben, das Kulturerbe aller Volksgruppen und Nationen der Welt zu bewahren, um diese künftigen Generationen überliefern zu können.[6] In diesem Zusammenhang verdient das jahrhundertealte Erbe der muslimischen Aserbaidschaner in Karabach genau so viel Beachtung wie das der christlichen Armenier. Die gewichtige UNO-Institution verschloss allerdings fast 30 Jahre bewusst oder aus welchen Gründen auch immer (hervorzuheben ist u.a. den Einfluss und Propagandatätigkeit armenischer Lobbyorganisationen) die Augen vor der willentlichen Auslöschung der aserbaidschanischen Identität, was sie nicht nur in Regierungskreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit Aserbaidschans in einem schlechten Licht erscheinen ließ. In keinem der bisherigen UNESCO-Berichte wurde das armenische Kriegsverbrechen gegen aserbaidschanische Kulturschätze beleuchtet und verurteilt. Um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen, verlangt Baku von der UNESCO vor allem eine konstruktive Zusammenarbeit. Die UNESCO-Experten erwarten mit Sicherheit monate-, wenn nicht jahrelange Feldarbeit, um die von Armenien angerichteten Zerstörungen und unzählige Vandalismus-Fälle in befreiten Territorien Aserbaidschans zu dokumentieren. 


[1]UNESCO is awaiting Azerbaijan’s Response regarding Nagorno-Karabakh mission, 21.12.2020, https://en.unesco.org/news/unesco-awaiting-azerbaijans-response-regarding-nagorno-karabakh-mission
[2]Azerbaijan urges UNESCO not to politicize cultural heritage protection in liberated lands, https://menafn.com/1101323718/Azerbaijan-urges-UNESCO-not-to-politicize-cultural-heritage-protection-in-liberated-lands
[3]Rainer Schreg: Krieg und Kulturgutzerstörung – Berg Karabach, 11.12.2020, https://archaeologik.blogspot.com/2020/12/krieg-und-kulturgutzerstorung-berg.html
[4]Almost all of Karabakh mosques completely destroyed by Armenians – ANAS,  11.11.2020,https://menafn.com/1101109405/Almost-all-of-Karabakh-mosques-completely-destroyed-by-Armenians-ANAS
[5]UNESCO official has recently made unfounded statement that they allegedly asked us but Azerbaijan remained silent – President of Azerbaijan, 24.12.2020, https://menafn.com/1101336943/UNESCO-official-has-recently-made-unfounded-statement-that-they-allegedly-asked-us-but-Azerbaijan-remained-silent-President-of-Azerbaijan

[6]Kulturgutschutz, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/kulturgutschutz