von Admiral
Wie in anderen Teilen des postsowjetischen Raums (vor allem in Zentralasien) hat die Stellung Chinas für die Länder des Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) in den letzten 10-15 Jahren deutlich zugenommen. Das Ausmaß von Pekings Präsenz in der Region zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer bleibt jedoch bescheiden im Vergleich zu seinem Einfluss in Zentralasien. Anders als beispielsweise in Kasachstan und Turkmenistan ist China im Südkaukasus an keinen Energieprojekten von geostrategischer Bedeutung beteiligt. Vor dem Hintergrund der geographischen Entfernung ist auch die politische Zusammenarbeit mit den Staaten des Südkaukasus weniger effizient als im Falle Zentralasiens – insbesondere gibt es kein südkaukasisches Äquivalent zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) als Machtmechanismus für die Förderung chinesischer Interessen in der Region.
Mit der Lancierung des gigantischen BRI (Belt&Road Initiative)-Projekts im Jahr 2013 trat das Südkaukasusgebiet für China auf einmal aus dem geopolitischen Schatten. Die Stagnation in Volkswirtschaften der führenden Regionalmächte (Iran, Russland und die Türkei) schuf dafür günstige Voraussetzungen und bot erfolgsversprechende Aussichten. Die regionalen Transport- und Energievorhaben – wie Startschuss der Baku-Tiflis-Kars(BTK)-Eisenbahnlinie im Jahr 2017 und Fortschritte bei der Realisierung des Transkaspischen Internationalen Transportkorridors (TITR) – brachten eine neue Dynamik. Dies wird von vielen örtlichen und externen Beobachtern als wirtschaftliche Expansion Pekings in den Südkaukasus gesehen, die wiederum geopolitische Implikationen nach sich zieht. In Armenien, Aserbaidschan und Georgien sieht man dem Engagement Chinas als wichtiger Handelspartner und Quelle dringend benötigter Investitionen generell positiv entgegen. Darüber hinaus hat China im Gegensatz zu westlichen Ländern oder Russland die Eigenschaft, “die Gastländer so zu akzeptieren, wie sie sind”. Es hat keine „feindliche Agenda“ und stellt keine expliziten Prämisse in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte, Fragen des Investitionsklimas, Integration etc. Die chinesischen Investitionen in der Region sind jedoch keineswegs einheitlich. In jedem Land gibt es spezifische Bereiche, auf die chinesische Unternehmen abgesehen haben. Auch die Höhe der Investitionen ist nicht gleichmäßig verteilt. Die meisten Kapitalanlagen sind in Aserbaidschan und Georgien konzentriert, während Armenien zurückgeblieben ist.
Georgien:
Georgien beherbergt mit Abstand die meisten Investitionen aus dem Reich der Mitte. Da die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes stark auf seiner Rolle als Transitland beruht, ist es für China von Belang. Getreu ihrer bisherigen Strategie haben die Chinesen in Georgien massiv in Infrastrukturprojekte investiert. Wie im Rest der Welt, bedient sich Peking seinen alterprobten Soft-Power-Methoden. Im akademischen Bereich sind es etwa die Aktivitäten der Konfuzius-Institute. Ein solches Zentrum wurde im Jahr 2010 an der Freien Universität Tiflis ins Leben gerufen. Nach Angaben des chinesischen Botschafters in Georgien werden an 26 Universitäten und weiterführenden Schulen in Georgien Chinesisch-Kurse angeboten. Jährlich setzen 25 georgische Studenten ihr Studium an chinesischen Universitäten fort, das von der chinesischen Regierung mit Stipendien finanziert wird. Darüber hinaus kommen jedes Jahr 20 chinesische Sprachlehrer und Freiwillige nach Georgien, um in verschiedenen Bildungseinrichtungen die chinesische Sprache und Kultur zu vermitteln.
Wie bereits angemerkt, nimmt China bei seinem Vorgehen vor allem den Infrastruktursektor ins Visier. Einer der Sektoren, in den Peking in Georgien großzügig investiert, ist der Bau von Wasserkraftwerken. Mitte der 2000er Jahre finanzierte China die Errichtung des Khadori-Wasserkraftwerks (auch bekannt als Khudoni) im georgischen Pankisi-Tal. Diese mit chinesischen Geldern erbaute hydroenergetische Anlage war die erste seiner Art. Während der Konstruktion beschäftigte sie viele Arbeiter und versorgt heutzutage viele Bewohner des nordwestlichen Kachetiens mit Strom. Ein weiteres Projekt, bei dem die Chinesen eine federführende Rolle spielten, war die Sanierung des Rikoti-Tunnels an Georgiens wichtigster Ost-West-Autobahn. Besonderes Interesse gilt außerdem für Rohstoffe (Holzproduktion, Marmorabbau, Kupferbergbau etc.).
Im Jahr 2017 unterzeichneten China und Georgien ein Freihandelsabkommen. Die georgische Seite setzt dabei auf die Küstenlage des Landes am Schwarzen Meer. Mit mehreren Häfen wie Batumi, Poti und dem einst geplanten Tiefseehafen Anaklia sowie der Baku-Tiflis-Kars Eisenbahnlinie (BTK) und der Ost-West-Autobahn wäre Georgien als Logistik- und Transitknotenpunkt prädestiniert für die expandierende Belt&Road-Initiative[1]. Im Mai 2019 besuchte Chinas Außenminister Georgien und kündigte neue Wege der bilateralen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern an. Diese zeigten sich bereits in Zeiten der Covid 19-Pandemie. Die chinesisch geführte AIIB (Asiatische Infrastrukturinvestmentbank) hat Georgien Ende Mai 2020 rund 100 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung der Krankheit zur Verfügung gestellt.
Neben ökonomischen Komponenten gibt es auch einen geopolitischen Aspekt in der georgisch-chinesischen Kooperation. Enge profitorientierte wirtschaftliche Verflechtung mit Georgien stellt Peking vor einer großen Herausforderung, nämlich die Sicherheit und Stabilität des Landes. Ein Teil des georgischen Territoriums (Abchasien und Südossetien) ist von Russland besetzt. Eine zunehmende Gefährdung der staatlichen Souveränität Georgiens durch Moskau könnte sich künftig negativ auf die Tätigkeit chinesischer Unternehmen auswirken, was wiederum eine Konfliktsituation mit dem Kreml auf den Plan rufen könnte. Die guten Beziehungen zu China könnte für Tiflis seinerseits in gewisser Weise als Schutz dienen, um den Druck Russlands nach dem Kaukasuskrieg 2008 zu einzudämmen.
Für Tiflis ist das Volumen von Chinas Handel mit dem Westen so astronomisch, dass es von enormem Nutzen wäre, wenn auch nur ein kleiner Teil davon erfasst werden könnte. Georgien hat ein attraktives Umfeld für ausländische Investoren geschaffen, indem Steuern gesenkt, Bürokratie reduziert und die Korruption erfolgreich bekämpft wurden. Das allein reicht aber nicht aus, um Chinesen zu beeindrucken. Für Peking zählt nicht ein geschäftsfreundliches Umfeld, sondern vielmehr das Volumen und die Tatsache, in schwer zugänglichen Märkten Fuß zu fassen.
Aserbaidschan
Georgien verzeichnet zwar die meisten chinesischen Investitionen, doch das höchste Handelsvolumen von Peking im Südkaukasus entfällt auf Aserbaidschan. Bis zur eine Milliarde Dollar investierte China bisher in die aserbaidschanische Wirtschaft. Der Handelsumsatz zwischen beiden Ländern hat sich in den letzten 28 Jahren um mehr als 1500-fach vergrößert, von 1,5 Millionen US-Dollar Anfang der 1990er Jahre auf 2,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020. Schwerpunkte chinesischer Aktivitäten sind Infrastruktur, Abbau von natürlichen Ressourcen und Ausbau der Transport und Energierouten. Im Mai 2019 gab der damalige aserbaidschanische Wirtschaftsminister Schahin Mustafajew bekannt, dass chinesische Unternehmen Investitionen im Wert von über 800 Millionen US-Dollar in die Wirtschaft Aserbaidschans getätigt haben. Aufgrund des großen Interesses an Aserbaidschan steckte China etwa beträchtliche Summen in die Modernisierung des internationalen Seehafens von Baku am Kaspischen Meer.
Großes Interesse zeigt Aserbaidschan auch für Waffengeschäfte mit China. Die Polonez-Mehrfachraketenwerfer-Systeme, die Weißrussland vor einigen Jahren an Aserbaidschan lieferte, wurde in Zusammenarbeit mit China entwickelt. Baku erwarb zudem das Qasirga T-300-System, das in der Türkei mit chinesischer Lizenz hergestellt wird. Im Jahr 2019 unterzeichneten Aserbaidschan und China ein Abkommen über den gegenseitigen militärischen Beistand. Zentraler Bestandteil dieser Vereinbarung ist der Kauf chinesischer Waffen. Aserbaidschans Sieg im zweiten Bergkarabachkrieg 2020 dürfte Chinas ehrgezige Ziele nicht all zu sehr beeinflussen. Im Gegenteil: In einst armenisch besetzten Territorien, die nunmehr unter aserbaidschanischer Kontrolle sind, eröffnen sich hervorragende Perspektiven für die Tätigkeit der chinesischen Investoren.
Seit mehr als einem Jahrzehnt baut Peking Transportrouten nach Europa, die Russland umgehen. Eine dieser Überlandrouten führt über das Kaspische Meer von Kasachstan nach Aserbaidschan und weiter nach Georgien, in die Türkei und schließlich nach Europa. Baku sieht sich auch als Knotenpunkt auf dem transeurasischen Telekommunikationskorridor, der Internetaustauschpunkte in Frankfurt und Mumbai verbinden und gleichzeitig Chinas “Digitale Seidenstraße”-Initiative ergänzen würde. Zu diesem Zweck unterzeichneten Aserbaidschans Telekommunikationsanbieter AzerTelecom und China-Telecom 2019 ein Memorandum.
Aserbaidschans Rolle als Transitknotenpunkt zwischen Zentralasien und dem europäischen Kontinent hat dem Land eine privilegierte Position verschafft und es für das Reich der MItte attraktiver gemacht. Diese Bedeutung könnte weiter zunehmen, sollte China seine Aktivitäten in der Region weiter ausweiten.
Armenien
Armenien, das Land mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Südkaukasus, pflegt proportional gesehen die engsten Wirtschaftsbeziehungen zu China. Ein Großteil entfällt dabei auf Importe. Doch China ist auch bestrebt, seine Rolle als Investor in Armenien auszubauen. Chinesische Firmen haben beispielsweise zwei armenische Wärmekraftwerke mit namhaften Krediten mitfinanziert und erneuert. Desweiteren investierte die chinesische Firma New Yida fünf Millionen Dollar in eine neue Mineralwasserproduktions- und Abfüllfabrik. Außerdem wurden Gespräche (wenn auch bisher ohne konkrete Ergebnisse) über die chinesische Beteiligung an einer geplanten Eisenbahnlinie zwischen Armenien und dem Iran geführt. 2015 schloss Armenien einen Vertrag zur verstärkter Kooperation beim Aufbau des Wirtschaftsgürtels der Neuen Seidenstraße (ein Unterbegriff für BRI). Doch Armeniens isolierte Lage ist ökonomisch von großem Nachteil. Das Land befindet sich im Konflikt mit Aserbaidschan und der Türkei. Die Grenzen zu beiden Nachbarstaaten sind wegen dem Bergkarabach-Konflikt seit beinahe 30 Jahren geschlossen. Diese Konstellation macht das kleine gebirgige Land zu einem nicht gerade idealen Standort für chinesische Geschäftsleute. Nur etwa 16,8 Prozent der internationalen Grenzen Armeniens sind offen, und das Straßensystem zwischen den beiden offenen Grenzen Armeniens (zu Georgien und Iran) ist unterentwickelt, was folglich die Investitionsmöglichkeiten aus China erheblich einschränkt.
Peking behält die kulturellen und humanitären Bereiche in Armenien ebenfalls im Blick. 2009 wurde das einzige Konfuzius-Institut an der Jerewaner Staatlichen W. Brjussow-Universität für Sprachen und Sozialwissenschaften eröffnet. 2018 nahm eine chinesisch-armenische Freundschaftsschule in Jerewan ihren Betrieb auf. Peking investierte über 12 Millionen Dollar in den Bau und Ausstattung dieser Einrichtung. Den nicht bestätigten Angaben zufolge hat China auch Hunderte von öffentlichen Bussen und Krankenwagen an Armenien gespendet.
Nach der „samtenen Revolution“ in Armenien im April 2018 vollzog sich ein grundlegender und nicht zu übersehender Wandel in armenisch-chinesischen Beziehungen. Eine deutliche Abkühlung ist die Folge. Dafür sind drei Gründe verantwortlich: 1) Im Mai 2019 besuchte Armeniens neue Regierungschef Nikol Paschinjan China. Als Ergebnis wurde eine Reihe von Vereinbarungen getroffen (u.a. über “One Belt, One Road”). Doch die vereinbarten Punkte wurden in Jerewan nicht konsequent in die Tat umgesetzt. 2) Im selben Jahr begab sich der Wirtschaftsminister Taiwans nach Armenien. Zuvor unterzeichnete Armenien eine Erklärung mit China und verpflichtete sich, keine offiziellen Beziehungen zum kleinen Inselstaat, den China für sich beansprucht, aufzunehmen. Trotz Dementis der armenischen Offiziellen, wurde das Vorgehen in Peking als unfreundlicher Schritt registriert. 3) 2019 schloss sich Armenien der internationalen Allianz für Religionsfreiheit an, einer Bewegung, die sich stark gegen China positioniert. Es wurde kein ernsthaftes Argument vorgebracht, warum der Beitritt zu dieser Bewegung im Interesse von Jerewan sei. In Peking empfand man dies als eine weitere Unverfrorenheit. Als Reaktion darauf legte China gemeinsam mit Großbritannien im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen die von Armenien initiierte Erklärung zur Karabach-Frage während der Zusammenstöße 2020.
Der Südkaukasus bleibt eine wichtige Verwerfungslinie zwischen Russland und dem Westen, und in letzter Zeit zunehmend auch zwischen der Türkei und Russland. Ein Engagement in dieser geopolitisch instabilen Region ist für Chinas BRI-Projekt mit vielen Risiken verbunden. Nach dem Bergkarabachkrieg 2020 haben sich mit dem Machtzuwachs von Moskau und Ankara neue geopolitische Gegebenheiten in der Region etabliert. Inwiefern werden die neuartigen Umstände im Südkaukasus die hochfliegenden Ambitionen Chinas beeinflussen? Wo enden die Toleranzgrenzen seines größten Kontrahenten Russland? Wie sollen sich Armenien, Aserbaidschan und Georgien positionieren? Die Beantwortung dieser Fragen wird im Wesentlichen davon abhängen, ob Peking den Südkaukasus in der Zukunft im Rahmen seiner „Zone privilegierter Interessen“ definieren wird.
[1] Eine fast eine Billion US-Dollar schwere chinesische Initiative, die darauf abzielt, die indopazifische Region mit dem europäischen Markt zu verbinden.
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