Der Ausgang des militärischen Konflikts in Bergkarabach zwischen Aserbaidschan und Armenien veränderte die geopolitische Landschaft im Südkaukasus, mit erheblichen Auswirkungen auf die Region vom Schwarzen zum Kaspischen Meer. Der Krieg zeigte, dass die Machtpolitik zunehmend an Bedeutung gewinnt und kleinere Akteure wie Aserbaidschan vor dem Hintergrund des Scheiterns diplomatischer Bemühungen, die sich fast 30 Jahre hinzogen, und mit „Segen“ der Großmächte (in diesem Fall Russland und die Türkei) dazu geneigt sind, ihre nationalen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Durch seine „Neutralität“ im jüngsten bewaffneten Konflikt in Bergkarabach ist Russland gelungen, mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 10. November 2020 einen gewissen Einfluss auf Aserbaidschan zu nehmen, während die sicherheitspolitische Abhängigkeit Armeniens von Russland weiter zunimmt. Der Westen war an den Verhandlungen nicht beteiligt und zu Statisten degradiert.
Diese Faktoren führen zu neuen geopolitischen Gegebenheiten in Georgiens unmittelbarer Nachbarschaft, die wiederum etliche Herausforderungen für die nationale Sicherheit des Landes mit sich bringen. Am offensichtlichsten ist die verstärkte Präsenz des russischen Militärs in der Region. Neben den größeren geopolitischen Implikationen hat dies auch direkte Auswirkungen auf die militärisch-sicherheitspolitische Lage Georgiens. Während der Eskalation zwischen seinen Nachbarn hat sich das offizielle Tiflis um Neutralität bemüht. Nach Unterzeichnung der Waffenruhe öffnete man jedoch seinen Luftraum für russisches Militär, damit die „Friedenstruppen“ mit ihrem Waffenarsenal auf kürzerem Wege in das Konfliktgebiet gelangen. Dies sei auf Bitten der Aserbaidschaner und der Armenier geschehen.
Das aktuelle Bild schafft für Georgien weitaus neue Realitäten. Nach Armenien, Abchasien und Südossetien sind russische Truppen nun in Aserbaidschan angekommen. Als einziges prowestlich orientiertes Land im Südkaukasus könnte sich Tiflis dadurch umzingelt fühlen. Das würde eine vertiefte Integration in die europäischen Institutionen und die Mitgliedschaft in der NATO auf die politische Agenda bringen, zumal diese seit spätestens 2008 die erklärten Ziele der georgischen Außenpolitik sind. Wenn auch die georgische Regierung an der Normalisierung der Beziehungen zu Moskau interessiert ist, so bleiben die latenten Spannungen weiterhin bestehen. In einer geographisch wie sicherheitspolitisch prekären Situation ist für Georgien daher die höchste Aufmerksamkeit gefragt, um den Kreml nicht noch einmal zu „ärgern“. Wahrscheinlichkeit, dass Georgien bei einer erneuten Zuspitzung der Lage von seinen westlichen Verbündeten im Stich gelassen wird, ist hoch, wie bereits der Kaukasuskrieg von 2008 gezeigt hat. Die nächste potenzielle Herausforderung ist die geplante Eröffnung der direkten Eisenbahnverbindung zwischen Aserbaidschan und der Türkei durch Armenien (der sogenannte Meghri-Korridor), die die Transitrolle Georgiens negativ beeinflussen könnte.
Welchen genaueren Weg Georgien unter den neuartigen geopolitischen Umständen im Südkaukasus einschlagen soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzusehen. An der neutralen Haltung gegenüber Armenien und Aserbaidschan wird sich wohl wenig etwas ändern. Von Belang wird es vielmehr die künftige Positionierung zu Russland und der Türkei sein. Vor allem könnte Ankara nach dem militärischen Sieg Aserbaidschans von Tiflis in der Schwarzmeerregion zunehmend als mögliches Gegengewicht im Kampf gegen den Kreml wahrgenommen werden. Gleichzeitig könnte durch diesen Erfolg die Achse Baku-Ankara-Tiflis gestärkt werden, welche der Türkei erlauben würde, ihre wirtschaftlichen und energiepolitischen Interessen mit Blick auf die Ressourcen im Kaspischen Meer weiterzuverfolgen.
Was im Südkaukasus geschieht, bleibt in der Regel nicht im Südkaukasus. Da die Region aus Transit-, Handels- und Energiegründen von riesiger Bedeutung ist, haben geopolitische Schocks im Südkaukasus oft Auswirkungen zweiter und dritter Ordnung in der gesamten Region.
Deshalb spielt Georgien eine wichtige Balance-Rolle in der permanent unruhigen Kaukasus-Region.
Autor: Admiral
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